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Burnout verstehen-

Zwischen Erschöpfung und Neuanfang

Ein naher Bekannter stellte mir am Wochenende mit kraftbetonter Stimme eine bedeutende Frage und formulierte diese wie folgt: “Warum ist Burnout heute so verbreitet? Früher haben die Menschen körperlich und psychisch deutlich mehr und härter arbeiten müssen, als heute? Da gab es keine Zeit für Burnout. Die “Trümmerfrauen” haben Steine mit bloßen Händen geschleppt, die Kriegskinder bekamen wenig Aufmerksamkeit von Seiten Ihrer Eltern und unsere Väter hatten keine Zeit für Ihre Familie.”

Persönlich stimmen mich diese Aussagen noch immer unglaublich traurig. Noch immer herrscht ein bedeutendes Aufklärungs- Defizit, in der Präventionsarbeit und in dem Bereich der Psychoedukation dem Thema: Burnout – hin zugewandt. 

Bevor ich die Beantwortung nun gern einmal “Kurz, Knackig & und zum Verständnis eines Laien” noch einmal schriftlich erläutere (In der Hoffnung, dass der “Fragende” der Bitte nachkommen mag, den Artikel zu lesen) – stelle ich mir seither eine für mich als Psychologin bedeutende Frage: Wo liegt nur die persönliche Intension, hinter seiner Aussage und vor allem: Weshalb wurde mir diese Frage mit einem negativen unterschwelligen Ton gestellt?

Psychoedukation - Burnout: Symptome, Diagnose und Therapie

Burnout – ein Begriff, der längst kein Nischendasein mehr fristet. In unserer leistungsgetriebenen Welt begegnet uns der Begriff auf Konferenzen, in Feuilletons und auf Kaffeetassen. Doch was verbirgt sich nun hinter diesem Fachbegriff? Und wie lässt es sich erkennen, verstehen und behandeln?

Was ist Burnout – mehr als ein Modewort

Burnout beschreibt einen Zustand tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung, meist ausgelöst durch chronischen Stress im Arbeitskontext. Ursprünglich in den 1970er Jahren von dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger beschrieben, ist es seither ein Synonym für die stille Erschöpfung der Leistungsträger geworden.

Burnout ist kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil. Betroffen sind häufig Menschen mit einem hohen Maß an Idealismus, Verantwortung und Einsatzfreude. Doch genau diese Eigenschaften können, wenn über lange Zeit überdehnt, zum gefährlichen Bumerang werden.

Symptome – wenn die Seele müde wird

Burnout schleicht sich leise an. Anfangs noch überspielt mit Disziplin und Durchhalteparolen, zeigt es sich bald in drei zentralen Bereichen:

Emotionale Erschöpfung:

  • Anhaltende Müdigkeit, auch nach dem Wochenende
  • Gefühl von innerer Leere und Überforderung
  • Gereiztheit, Nervosität, Schlafstörungen

Depersonalisierung (Distanzierung)

  • Zynismus gegenüber (Familie, Freunde und Bekannte) Kollegen oder der eigenen Arbeit
  • Rückzug, Gleichgültigkeit, emotionale Abstumpfung
Leistungsreduktion:
  • Konzentrationsprobleme
  • Gefühl von Ineffektivität
  • Sinkendes Selbstwertgefühl; trotz objektiver Leistung

Diese Symptome sind ernstzunehmende Warnzeichen der Psyche – vergleichbar mit einer roten Lampe auf dem Armaturenbrett, die nicht ignoriert werden sollt

Diagnose – Klarheit durch professionelle Hilfe

Burnout ist (noch) keine eigenständige Diagnose im Sinne des ICD-10, sondern wird unter „Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ (Z73.0) geführt. In der klinischen Praxis jedoch erfolgt die Differenzierung von ähnlichen Krankheitsbildern wie Depression, Angststörungen oder chronischem Fatigue-Syndrom – oft durch Psychologen, Psychotherapeuten oder Fachärzte für Psychiatrie. Eine fundierte Anamnese, gegebenenfalls ergänzt durch Fragebögen wie das Maslach Burnout Inventory (MBI) oder das Oldenburg Burnout Inventory (OLBI), schafft Orientierung und ermöglicht eine individuelle Einordnung.

Therapie – Wege zurück zur inneren Kraft

Die Behandlung von Burnout ist so individuell wie die Menschen, die davon betroffen sind. Grundpfeiler einer erfolgreichen Therapie sind:

  • Psychotherapeutische Begleitung: Kognitive Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie oder systemische Ansätze helfen, Denk- und Verhaltensmuster zu reflektieren und zu verändern.
  • Entlastung und Ressourcenstärkung: Klare Grenzen setzen, „Nein“ sagen lernen, Selbstfürsorge praktizieren.
  • Psychoedukation: Verstehen schafft Veränderung. Wer weiß, was in ihm vorgeht, kann besser handeln.
  • Entspannungsverfahren & AchtsamkeitProgressive Muskelentspannung, Meditation oder Yoga fördern die Regeneration und stärken die Selbstwahrnehmung.
  • Strukturelle Veränderungen: In manchen Fällen kann eine berufliche Neuorientierung oder Reduktion von Arbeitszeit sinnvoll sein – nicht als Niederlage, sondern als kluge Selbstrettung.

Warum ist Burnout heute häufiger – obwohl frühere Generationen härter arbeiteten?

Eine wissenschaftlich-psychologische Einordnung

Auf den ersten Blick scheint es paradox: Unsere Vorfahren arbeiteten oft unter härtesten körperlichen Bedingungen – auf Feldern, in Fabriken, in Handwerksbetrieben. Heute hingegen sind es laut Statistika 2023 – Wissensarbeiter, Mitarbeiter in Bürojobs, Führungskräfte oder pflegende Angehörige, die unter Burnout leiden. Die körperliche Arbeit hat abgenommen – doch die psychische Belastung ist gestiegen.

Hier sind die zentralen Ursachen, warum Burnout heute häufiger ist als früher:

1. Die Natur der Arbeit hat sich gewandelt – Von Außen nach Innen

  • Einst war Arbeit oft physisch, sichtbar, abschließbar: Ein Feld war gepflügt, eine Wand gebaut, der Arbeitstag vorbei.
  • Heute ist Arbeit kognitiv und emotional:
  • Wir denken, planen, kommunizieren, managen, oft ohne klare Trennung zwischen Anfang und Ende.
  • Arbeit „endet“ selten wirklich – E-Mails am Abend, Projekte im Kopf, ständige Erreichbarkeit.
  • Viele Aufgaben sind komplex, multitasking-intensiv und schwer zu kontrollieren.
  • 👉 Das erzeugt dauerhafte mentale Aktivierung – ein Nährboden für chronischen Stress.

2. Die ständige Selbstoptimierung – Das Ich als Projekt

  • Frühere Generationen lebten oft mit festen Rollen: Bauer, Mutter, Lehrer. Die Erwartungen waren stabil.
  • Heute erleben wir eine gesellschaftliche Individualisierung:
  • Jeder soll sein „bestes Selbst“ verwirklichen, innovativ sein, agil, resilient, leistungsfähig – ständig.
  • Das führt zu einem hohen Selbststeuerungsdruck, wie ihn der Soziologe Hartmut Rosa oder der Burnout-Forscher Mathias Burisch beschreiben.

👉 Menschen fühlen sich verantwortlich für Erfolg und Glück – aber auch für Misserfolg und Erschöpfung.

3. Entgrenzung von Arbeit und Freizeit – Die digitale Dauerpräsenz

  • Mit Smartphones, Homeoffice und mobilen Technologien ist Arbeit immer und überall möglich – aber auch präsent.
  • Die Trennung von Arbeits- und Erholungszeit verschwimmt.
  • Der „Feierabend“ – einst heilig – wird oft zum „Feier-off“.

👉 Erholung wird zur Herausforderung. Und chronischer Stress ohne echte Regeneration ist das Fundament von Burnout.

4. Psychische Belastungen sind sichtbarer und akzeptierter

  • Heute sprechen wir offener über psychische Gesundheit.
  • Begriffe wie Burnout oder Erschöpfungsdepression haben einen Platz im öffentlichen Diskurs.
  • Früher wurde vieles als „Nervenschwäche“, „Charakterschwäche“ oder einfach „müde“ abgetan – oder verschwiegen.

👉 Mehr Fälle bedeuten nicht automatisch mehr Erkrankungen, sondern auch mehr Erkenntnis und Diagnostik.

5. Steigende Anforderungen – Bei abnehmender Bindung

  • Viele Arbeitsverhältnisse sind heute unsicher, projektbasiert, ohne klare Zugehörigkeit.
  • Soziale Unterstützung in Teams, Familien oder Gemeinschaften ist oft schwächer als früher.
  • Das Gefühl, „alles allein stemmen zu müssen“, wächst.

👉 Fehlende soziale Ressourcen verstärken Stress und fördern die Entstehung von Burnout.

Fazit: Burnout ist kein Zeichen von Schwäche – Sondern von Wandel

Der Anstieg von Burnout ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels in unserer Arbeits- und Lebenswelt. Nicht weil Menschen heute weniger belastbar sind – sondern weil die Belastungen unsichtbarer, diffuser und psychisch tiefgreifender geworden sind.

  • Körperliche Erschöpfung konnte man früher „ausschlafen“.
  • Psychische Erschöpfung braucht mehr: Raum, Reflexion, Resonanz.

Burnout “Knackig”

close up photography of green moss on rock
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Charakterpanzer und Seelenlandschaften

Eine psychodynamische Reise durch die Typen

Der Mensch – Ein Gewordener. Kein fertiges Wesen, sondern ein vielschichtiges Mosaik aus Erlebtem, Ererbtem, Erduldetem. In der psychodynamischen Sichtweise ist unser Charakter nicht bloß Temperament oder Marotte, sondern das kunstvoll geschnitzte Ergebnis frühkindlicher Beziehungserfahrungen, innerer Konflikte und Abwehrstrategien. Ein Schutzschild gegen die Überwältigung, ein Muster des Überlebens – und manchmal, ein Käfig.

Wilhelm Reich sprach von “Charakterpanzerungen” – muskulären, emotionalen und kognitiven Rüstungen, die einst schützten, nun aber das freie Erleben blockieren. Otto Kernberg differenzierte die Strukturtypen in neurotische, borderline-nahe und psychotische Organisationen, je nach Ich-Stärke, Abwehrform und Realitätssinn. Und das DSM-5 – so nüchtern es sein mag – beschreibt unter “alternativen Strukturmodellen” Dimensionen der Identität, Objektbeziehung und Affektregulation, die sich in Persönlichkeitsstilen niederschlagen.
“Das Schwierigste am Menschen ist das, was ihn einst gerettet hat.”
In diesem Beitrag werfen wir gemeinsam einen empathischen, zugleich fachlich fundierten Blick auf einige zentrale Charaktertypen psychodynamischer Prägung. Jeder von ihnen ist eine Einladung zum Verstehen, nicht zum Verurteilen.

1. Die narzisstische Struktur – Zwischen Grandiosität und Leere

Der narzisstische Charakter erscheint oft charmant, selbstbewusst, leistungsstark. Doch unter dem Glanz liegt oft eine empfindliche Seele, die auf Spiegelung angewiesen ist, wie eine Pflanze auf Licht. Die Grandiosität ist nicht Ausdruck von Selbstliebe, sondern Schutz vor tiefer Scham.

Typische Abwehrmechanismen: Idealisierung, Entwertung, projektive Identifikation.

In der Tiefe: Schwierigkeiten, stabile Selbstbilder zu entwickeln; Angst vor Abhängigkeit; innere Leere.

Therapeutische Haltung: Konfrontation mit liebevoller Spiegelung. Grenzen setzen, ohne abzuwerten. Die Wunde sehen, ohne den Glanz zu verleugnen.

2. Die zwanghafte Struktur – Kontrolle als Kompass in der inneren Unordnung

Ordnung, Regeln, Rituale – die zwanghafte Struktur sehnt sich nach Kontrolle, wo innerlich Chaos und ungestillte Affekte lauern. Der Zwanghafte ist oft gewissenhaft, loyal, strebsam. Doch hinter der Disziplin liegt eine Angst: Wenn ich nicht alles im Griff habe, werde ich überschwemmt.

Typische Abwehrmechanismen: Isolierung von Affekt, Reaktionsbildung, Intellektualisierung.

In der Tiefe: Angst vor Triebhaftigkeit, vor Kontrollverlust; internalisierte Strenge.

Therapeutische Haltung: Geduldiger Raum für Gefühle. Der Mut zum Unvollkommenen wird zur Therapie.

3. Die schizoide Struktur – Der Rückzug in die innere Burg

Der schizoide Charakter zieht sich zurück, lebt oft in reichen inneren Welten, doch bleibt für andere oft unerreichbar. Die Beziehung zur Welt ist von Distanz geprägt, nicht aus Mangel an Gefühl, sondern aus früher Verletzung.

Typische Abwehrmechanismen: Vermeidung, intellektuelle Rationalisierung, Schaffung von Ersatzwelten.

In der Tiefe: Sehnsucht nach Bindung, gepaart mit Angst vor Vereinnahmung.

Therapeutische Haltung: Präsenz ohne Bedrängung. Verstehen ohne Eindringen. Der schüchterne Blick ins Gegenüber wird zur Brücke.

4. Die histrionische Struktur – Die Bühne als Ort der Begegnung

Hier pulsiert das Leben: Farben, Drama, Ausdruck. Der histrionische Charakter liebt das Rampenlicht, das Gesehenwerden. Doch hinter der Fassade der Lebendigkeit liegt oft eine tiefe Angst, ohne Resonanz zu versinken.

Typische Abwehrmechanismen: Verdrängung, Identifikation, Suggestion.

In der Tiefe: Fragile Selbstbilder, übermäßige Abhängigkeit von externer Bestätigung.

Therapeutische Haltung: Echtheit statt Performance. Das Gefühl ernst nehmen, nicht nur das Schauspiel.

4. Die histrionische Struktur – Die Bühne als Ort der Begegnung

Menschen mit depressiver Struktur tragen oft eine tiefe Verantwortlichkeit in sich. Ihre Traurigkeit ist nicht nur Stimmung, sondern Grundton. Schuldgefühle, Rückzug, Selbstabwertung dienen dem Schutz des geliebten Anderen, oft auf Kosten des eigenen Selbst.

Typische Abwehrmechanismen: Introjektion, Wendung gegen das Selbst.

In der Tiefe: Angst, andere zu verletzen oder zu verlieren; alte Verluste, nicht betrauert.

Therapeutische Haltung: Sanftheit. Das Ich stärken, ohne Schuld abzuwehren – Den Trauerprozess begleiten.

Conclusio:

Charaktertypen sind keine Schubladen. Sie sind Landkarten seelischer Landschaften, entstanden aus den Wegen, die ein Mensch gehen musste. Die psychodynamische Perspektive ehrt diese Wege – und hilft, neue zu finden. Denn hinter jedem Panzer liegt ein Herz. Und jeder Charakter, so fest er auch wirkt, sehnt sich nach Entwicklung.

Charaktertypen – Psychodynamik

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Das Machtmotiv verstehen

In der Organisationspsychologie

Wie auch für andere Motivsysteme wird für das Machtmotiv angenommen, dass es durch innere und äußere Anreize generiert und das Erreichen mit positiven affektiven Konsequenzen, assoziiert wird. Hier erfahren sie mehr über das Verständnis und die Motivation von Macht in der Forschung und über Machtquellen.

Das Machtmotiv als gelernte Disposition

Für das Machtmotiv ist der Anreiz das Erleben von Einfluss, das wiederum mit positiven Erlebnisqualitäten wie einem Gefühl der Stärke assoziiert ist (McCelland, 1985).

Interindividuelle Unterschiede im Machtmotiv kommen durch unterschiedliche Erfahrungen mit positiven (Belohnung) und negativen (Bestrafung) Folgen des Machthandels in der frühen Kindheit zustande.

McClelland und Pilon (1983) erfragten 1951 die Erziehungstechniken von Müttern und besagten aus den so gewonnen Parametern über fünfundzwanzig Jahre später, die Motive der nun Erwachsenen vorher. Als Prädiktor eines hohen Machtmotives erwies sich die Toleranz, die die Mütter ihren fünf jährigen Kindern gegenüber aggressivem Verhalten zeigten.

Die Autoren interpretierten diesen Zusammenhang so, dass die weniger strikte Kontrolle und Sanktionierung von Verhalten die Erfahrung von Einflussnahme und den mit ihr assoziierten affektiven Konsequenzen ermöglichte.

Das Verständnis von Macht

Macht hat viele Facetten. Umso schwieriger ist die Machtmotivation an Hand von Studien klar zu definieren, da es über die Machtmotivation bis dato weniger Studien gibt, als zu Forschungsarbeiten zur Leistungsmotivation.

Eine Gemeinsamkeit unzähliger Machtdefinitionen in Schriften aus verschiedenen Epochen und über verschiedene Disziplinen hinweg ist das Verständnis von Macht als die Einflussnahme auf andere gegen deren Willen. Dies löst unvermeidlich Assoziationen zu Machtmissbrauch, Tyrannei und Unterdrückung aus.

Definition und Gegenstandsbereich der Machtmotivations- Forschung

Schultheiss (2008 beschreibt das Machtmotiv als die Neigung, Befriedigung aus der physischen, mentalen und emotionalen Einflussnahme auf andere zu ziehen. Auch im Zentrum früherer Machtmotivdefinitionen steht die Einflussnahme und Kontrolle anderer. So bezieht sich nach Lewis (1951) Macht auf eine andere Person, auf die Einfluss ausgeübt wird. Die Macht über Person A über Person B. Wichtig ist, dass die Machtausübung assoziierte positive Gefühle von Stärke als das eigentliche Motivziel gilt (McClelland, 1985). Menschen handeln, weil das erreichen ihrer Macht- Ziele mit Kontrollerleben und Selbstwirksamkeit verbunden ist, was wiederum erfolgreiches machtthematisches Verhalten verstärkt.

Murray (1938) identifizierte in seinem Motivklassifikationsansatz das Bedürfnis nach Dominanz als ein wichtiges psychologisches Grundbedürfnis. Er umschreibt es mit den Stichworten “to influence or control others. To persuade, prohibit, dictate.” (Murray, 1938,S.82)

Machtquellen und Machthandeln

Wie aber gelingt es, Einfluss auf andere auszuüben, um letztendlich ein Gefühl von Stärke erleben zu können? Nach French und Raven ist die Voraussetzung hierfür eine Ressourcen- Überlegenheit gegenüber anderer Personen. Diese Ressourcen haben French und Raven (1959) in secht Machtquellen kategorisiert.

1. Belohnungs- und Bestrafungsmacht

Andere für ihr Verhalten belohnen oder bestrafen zu können – z.B. Notengebung durch Lehrpersonen oder Sanktionen durch Vorgesetzte

2. Legitimierte Macht

Eine Person darf aufgrund von Normen oder Regeln einer Gesellschaft ganz legitim Macht auch gegen den Willen einer anderen Person ausüben. z.B. Festnahmen der Polizei. Sanktionen von Vorgesetzten bei mangelnder Arbeitsleistung.

3. Vorbildmacht

Auch Vorbildern über Macht in dem Sinne aus, dass sie andere dazu veranlassen, zu werden wie sie.

4. Expertenmacht

Expertise ist eine weitere Quelle für Macht, bei der andere auf das Wissen oder die Fähigkeiten einer anderen Person angewiesen sind. Ein Beispiel für Expertenmacht sind ärztliche Gesundheitsempfehlungen, die mehr Einfluss auf die Verhaltensänderung haben als der Rat eines Bekannten, doch endlich mit dem rauchen aufzuhören.

5. Informationsmacht

Die Quelle der sind hier Informationen über die zu beeinflussenden Personen und die Möglichkeit, diese zugunsten oder zuungunsten dieser Personen einzusetzen (z.B. strategische Informationsausspielungen am Arbeitsplatz, Erpressung)

Weitere theoretische Überlegungen und empirische Studien zu Machtquellen zeigen zwar, dass allein der wahrgenommene Besitz von Machtquellen (ohne dessen Ausübung) das Machtmotiv zu befreidigen vermag, aber auch, dass der Besitz von Machtquellen, wie beispielsweise die Fähigkeit, die Ressourcen anderer kontrollieren zu können, machtthematische Handlungen anstößt.

Die Entwicklungsstadien von Macht (McClelland, 1975)

Das Gefühl von Stärke und Macht als eigentliches Motivziel kann durch unterschiedliche Verhaltensweisen erreicht werden. McClellens Anliegen war, diese Äußerungsformen von Machthandeln zu klassifizieren. Die zwei Klassifikationsdimensionen sind die Quelle der Macht, die entweder in oder außerhalb der Person liegen kann und das Objekt der Macht, das entweder das Selbst oder der Andere sein kann. McClelland betrachtet die so entstehenden vier Machttypen, anlehnend an die Stadien der Ich-Entwicklung nach Erikson als Entwicklungsstadien, die eine Person vom Kindes- zum Erwachsenenalter durchläuft. Die Stadien bauen einander auf, nicht jede Person erreicht aber das höchste Stadium.

Hier finden Sie den Beitrag – Machtstadium 1. – 4.

Was ist Machtmotivation

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Wenn Gedanken kreisen

Es gibt Gedanken, die kommen – und wieder gehen. Und es gibt Gedanken, die bleiben und durch Handlungen ausgetragen werden. Sie klopfen nicht an, sie drängen sich auf. Sie kreisen wie ein Karussell, das sich nicht stoppen lässt. Willkommen in der Welt der Zwangsstörung.

Was ist eine Zwangsstörung

Die Zwangsstörung (im Fachjargon: Zwangserkrankung oder obsessive-compulsive disorder, kurz OCD) ist eine psychische Erkrankung, bei der bestimmte Gedanken oder Handlungen immer wieder auftreten – und als belastend oder sinnlos erlebt werden. Sie gehören nicht zum eigentlichen Denken oder Willen der betroffenen Person, sondern drängen sich regelrecht auf.
Die Zwangsstörung (auch Zwangserkrankung genannt) ist eine psychische Erkrankung, die durch wiederkehrende, aufdringliche Gedanken (Zwangsgedanken) und/oder ritualisierte Handlungen (Zwangshandlungen) gekennzeichnet ist. Betroffene wissen meist, dass ihre Gedanken oder Handlungen übertrieben oder irrational sind – und dennoch scheinen sie sich ihnen nicht entziehen zu können. Diese Gedanken fühlen sich an wie ungebetene Gäste im Kopf. Sie sprechen in der Sprache der Angst, der Schuld, der Unsicherheit. Und die Handlungen – das ständige Händewaschen, Kontrollieren, Zählen – erscheinen wie der Versuch, Ordnung ins innere Chaos zu bringen. Doch jede Erleichterung ist nur von kurzer Dauer.

Ein Blick zurück – ein Verständnis, das wächst

Noch vor wenigen Jahrzehnten galten Menschen mit Zwangsstörungen oft als „neurotisch“ oder schlicht „exzentrisch“. Inzwischen wissen wir: Es handelt sich um ein tiefgreifendes Leiden, das nicht mit Willenskraft allein überwunden werden kann. Dank moderner Psychotherapie – insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie – ist heute Hilfe möglich, wo früher Hoffnungslosigkeit herrschte.

Zwangsgedanken - Die Unruhe im Kopf

Zwangsgedanken sind wiederkehrende, unangenehme Gedanken, Impulse oder Vorstellungen. Typisch ist, dass sie Angst, Schuldgefühle oder Ekel auslösen. Häufige Inhalte sind:

  • Angst, sich selbst oder andere zu verletzen
  • Angst vor Schmutz, Keimen oder Krankheiten
  • Angst, durch Unachtsamkeit Schaden anzurichten
  • Religiöse oder sexuelle Gedanken, die nicht zu den eigenen Werten passen

Wichtig: Diese Gedanken widersprechen häufig den Überzeugungen der Betroffenen. Genau das macht sie so quälend.

Zwangshandlungen – der scheinbare Schutz
Zwangshandlungen sind bestimmte Verhaltensweisen oder Rituale, die dazu dienen, die Angst zu verringern oder ein „schlimmes Ereignis“ zu verhindern. Typische Zwangshandlungen sind:

  • Wiederholtes Händewaschen oder Duschen
  • Kontrollieren (z. B. ob der Herd aus ist)
  • Zählen, Berühren oder bestimmte Reihenfolgen einhalten
  • Exzessives Ordnen oder Symmetrie herstellen
  • u.w.

Entscheidend ist: Die Betroffenen wissen oft, dass ihre Gedanken oder Handlungen übertrieben oder irrational sind – sie fühlen sich ihnen jedoch ausgeliefert.

Wie entsteht eine Zwangsstörung?

Die Entstehung ist meist komplex und individuell. Beteiligt sind: Biologische Faktoren: Veränderungen in bestimmten Hirnregionen (z. B. im fronto-striatalen Netzwerk) sowie in der Regulation von Botenstoffen wie Serotonin. Psychologische Faktoren: Perfektionismus, überhöhtes Verantwortungsgefühl oder ein strenger innerer Kritiker. Lernerfahrungen: Oft wurden bestimmte Ängste (z. B. vor Krankheit oder Fehlern) in der Kindheit verstärkt – durch eigene Erfahrungen oder durch das Verhalten nahestehender Personen. Stressfaktoren: Kritische Lebensereignisse, Überforderung oder Belastungen können eine Zwangsstörung auslösen oder verstärken.

Was sind Zwangsgedanken?

Zwangsgedanken sind Ideen, Vorstellungen oder Impulse, die sich aufdrängen, wiederholen, qäulend sind und nicht durch Willensanstrengung beeinflusst werden können. Sie werden von dem Betroffenen als unangemessen und sinnlos erlebt. Die Inhalte der Zwangsgedanken sind meistens angstvolle Gedanken und Überzeugungen, wie beispielsweise sich selbst oder jemand anderem Schaden zuzufügen, Dinge auszusprechen, die man nicht aussprechen will (z.B. Obszönitäten) oder für ein Unheil (Krankheit, Epidemie, Unfall, usw.) verantwortlich zu sein.

Zwangshandlungen

Zwangshandlungen sind Handlungsstereotypen; die wiederholt werden müssen. Typische Beispiele sind Waschzwang, Kontrollzwang, magisches Denken oder der Ordnungszwang. Zwangshandlungen bestehen oft aus Kontroll- und Reinigungshandlungen. Zwangsstörungen können so stark ausgeprägt sein, dass eine normale Lebensführung unmöglich ist. Dies kann soweit gehen, dass bestimmte Räume innerhalb der Wohnung nicht mehr betreten werden können, Orte und Situationen nicht mehr aufgesucht werden können und schließlich die eigene Wohnung nicht mehr verlassen wird. Oftmals fürchten sich die Patienten davor, die Rituale nicht durchführen zu können und die Kontrolle zu unterlassen. Es kommt zu starker Angst, begleitet von unangenehmen körperlichen Symptomen. Dies ist jedoch nicht bei allen Patienten der Fall. Manche Betroffenen verspüren keine Angst, wenn sie ihrem Ritual nicht nachgehen können, sondern eine Mischung aus innerer Unruhe, Ekel und Unwohlsein.

Wann sprechen wir von einer Zwangserkrankung?

Wir sprechen von einer Zwangserkrankung, wenn

  • die Betroffenen stark unter ihrem Verhalten leiden,
  • sie in ihrem Alltag stark beeinträchtigt sind,
  • sie sehr viel Zeit und Energie durch dieses Verhalten verlieren,
  • sie ihr Verhalten als sinnlos und unbeeinflussbar ansehen

Betroffene wissen oft nicht, dass es sich dabei um eine psychische Störung handelt.

Wie wird eine Zwangserkrankung behandelt?

Zwangsstörungen lassen sich heute gut mit Geduld, Fachwissen und professioneller Begleitung behandeln.

Empfohlene Therapieformen:

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), insbesondere die Methode der Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP). Dabei setzt man sich bewusst angstauslösenden Situationen aus, ohne die Zwangshandlung auszuführen. So lernt das Gehirn, dass keine Gefahr droht.

Medikamentöse Behandlung: In bestimmten Fällen können sogenannte SSRI (eine Gruppe von Antidepressiva) helfen, das Zwangsniveau zu senken.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder psychodynamische Ansätze können ergänzend hilfreich sein – vor allem, wenn unbewusste Konflikte oder belastende Beziehungsmuster beteiligt sind.

Was die Seele schützt – und was sie braucht

Eine Zwangsstörung ist kein Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil: Viele Betroffene sind gewissenhaft, feinfühlig, verantwortungsbewusst. Oft sind es gerade diese Eigenschaften, die in Verbindung mit inneren Konflikten und belastenden Erfahrungen zur Entwicklung einer Zwangsstörung beitragen können. Die Seele braucht in solchen Zeiten kein Urteil, sondern Verständnis. Keine schnellen Lösungen, sondern Begleitung auf Augenhöhe. Eine Therapie ist kein Zauberstab – aber sie ist ein Weg. Schritt für Schritt. Wieder atmen lernen, wo Angst die Luft nahm.

Therapie und Hoffnung

Die wirksamste Therapieform ist derzeit die Expositionsbehandlung mit Reaktionsverhinderung (ERP) – eine mutige Konfrontation mit dem, was Angst macht, ohne in alte Handlungsmuster zurückzufallen. Auch achtsamkeitsbasierte Verfahren, tiefenpsychologisch fundierte Ansätze und Medikamentengabe (v. a. SSRI) können Teil eines integrativen Behandlungsplans sein. Und was vielleicht am wichtigsten ist: Heilung ist möglich. Veränderung ist möglich. Linderung ist real.

Zwang ist nicht gleich Ordnungsliebe

Es ist wichtig, mit einem Missverständnis aufzuräumen: Nicht jeder, der gerne aufräumt oder penibel plant, leidet an einer Zwangsstörung. Erst wenn Gedanken oder Rituale massiv in den Alltag eingreifen und Leid verursachen, spricht man von einer behandlungsbedürftigen Störung. Die Grenze liegt im Leidensdruck und Kontrollverlust.

Mut zur Offenheit – Einladung zum Gespräch

Wenn du oder jemand in deinem Umfeld unter Zwangsgedanken oder -handlungen leidet: Sprich darüber. Scham ist ein schlechter Ratgeber, Verständnis ein heilender Begleiter. Niemand muss diesen Weg allein gehen. Die Psyche ist ein empfindsames Instrument – und manchmal verstimmt sie sich. Aber wie jede Melodie kann auch sie wieder ins Gleichgewicht finden. Mit Geduld, mit Unterstützung, mit Hoffnung.

Ein Fallbeispiel: Sarahs Hände

Sarah ist 31 Jahre alt, arbeitet als Grundschullehrerin – liebevoll, engagiert, verlässlich. Doch seit einigen Jahren bestimmen Waschzwänge ihren Alltag. Alles begann schleichend: ein intensiver Sauberkeitsdrang nach einem Magen-Darm-Infekt. Was anfangs vernünftig erschien, wurde zur Besessenheit. Bevor Sarah das Haus verlässt, wäscht sie sich bis zu 20 Mal die Hände. Ihre Haut ist rissig, rot, entzündet. Sie vermeidet es, Türklinken zu berühren, Geld anzufassen oder ihre Schüler bei Projekten zu begleiten, bei denen man „schmutzig“ werden könnte. Innerlich schämt sie sich für ihr Verhalten, weiß, dass es übertrieben ist – aber sie kann nicht anders. Die Angst vor Keimen, vor Krankheit, vor Verantwortung lähmt sie. „Wenn ich’s nicht tue, passiert etwas Schreckliches“, beschreibt sie ihr Gefühl. Erst ein Gespräch mit einer vertrauten Kollegin gibt ihr den Mut, sich Hilfe zu suchen. In der Therapie lernt Sarah, sich ihren Ängsten langsam zu stellen. Sie setzt sich bewusst Situationen aus, in denen sie die Hände nicht sofort waschen darf. Es ist hart – aber heilsam. Nach und nach gewinnt sie ein Stück Selbstbestimmung zurück. Ihr Fazit: „Ich habe meine Hände wieder. Und mit ihnen mein Leben.“

Was du selbst tun kannst – Erste Schritte zur Selbsthilfe

Auch wenn professionelle Hilfe bei einer Zwangsstörung zentral ist, gibt es Dinge, die Betroffene selbst tun können – als Brücke, als Unterstützung, als Zeichen an sich selbst: Ich will, dass es mir besser geht.

1. Beobachten ohne Urteil
Führe ein Gedanken- oder Zwangs-Tagebuch. Notiere:

Wann treten die Zwangsgedanken/-handlungen auf?

Was passiert davor?

Wie fühlst du dich währenddessen und danach?

Diese Selbstbeobachtung ist der erste Schritt, Muster zu erkennen und Abstand zu gewinnen – ganz ohne Selbstvorwurf.

2. Kleine Mutproben
Stelle dich bewusst kleinen Situationen, die du sonst vermeiden würdest. Einmal weniger kontrollieren, einmal länger mit dem Händewaschen warten. Feiere jeden kleinen Erfolg wie einen Sieg. Denn das ist er.

3. Psychoedukation – Wissen stärkt
Lies über Zwangsstörungen. Verständnis entmystifiziert. Buchempfehlungen wie “Zwangsstörungen verstehen und bewältigen” von Adam Radomsky oder “Wenn Zwänge das Leben einengen” von Christine Loch helfen, die innere Logik der Störung besser zu durchschauen.

4. Entspannungstechniken
Autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Achtsamkeitsübungen – sie helfen, das innere Erregungsniveau zu senken. Regelmäßig angewendet, können sie eine wohltuende Basis schaffen.

5. Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
Der innere Kritiker ist bei Zwangsstörungen meist besonders laut. Antworte ihm mit einem anderen Ton: freundlich, geduldig, mitfühlend. Frage dich: Was würde ich einer guten Freundin in meiner Lage sagen? Und sag genau das – zu dir selbst.

Worte, wie eine Hand auf der Schulter

Eine Zwangsstörung zu erkennen, verlangt Einsicht. Sich ihr zu stellen, verlangt Mut. Und durch sie hindurchzugehen – das verlangt Herz, Geduld und manchmal mehr Kraft, als man zu haben glaubt. Doch sei gewiss: Du bist nicht deine Gedanken. Du bist nicht deine Rituale. Du bist der Mensch dahinter – voller Würde, voller Sehnsucht nach Freiheit, nach Ruhe, nach einem Leben in Balance. Manchmal braucht die Seele eine Erinnerung daran, dass Heilung kein gerader Weg ist, sondern ein Pfad mit Kehren, Steinen und Lichtungen. Und manchmal braucht es nur einen Schritt – den ersten – um wieder hoffen zu können. Gehe ihn. Langsam, achtsam, in deinem Tempo. Du musst ihn nicht perfekt gehen. Du musst ihn nur nicht allein gehen. Es gibt Hilfe. Es gibt Wege. Und irgendwo in dir: den Ort, an dem du wieder ganz bei dir bist.

Blick auf die Zwangsstörung

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Die Übertragungsdeutung in der Psychoanalyse

Manchmal sitzt mir in der Sitzung nicht nur mein Patient gegenüber – Meist ein Vater, eine Mutter, ein früher Lehrer, ein Bekannter von einem Freund, eine Bekannte von einer Freundin, eine einst geliebte oder verletzte Bezugsperson. Die Stimme verändert sich, der Blick, der Tonfall. Es entsteht eine Atmosphäre, die nicht aus dem Hier und Jetzt stammt – und genau hier beginnt der Moment der Übertragung.

In meiner Arbeit als Psychologin und Therapeutin ist die Übertragungsdeutung eines der kraftvollsten Werkzeuge überhaupt. Sie ist wie ein feines Stethoskop, mit dem ich nicht den Herzschlag, sondern die seelischen Wiederholungsmuster höre. Wenn Patient:innen mich zum Beispiel als „kühl“, „kritisch“ oder „überfürsorglich“ erleben – obwohl ich es gerade nicht bin –, dann lausche ich tiefer: Welche alte Beziehung meldet sich da gerade? Und wie können wir gemeinsam begreifen, was früher war und heute wiederkehrt?

Die Einladung

Eine gelungene Übertragungsdeutung ist nie belehrend. Sie ist ein Angebot, eine Einladung zum Innehalten:
„Ich frage mich, ob Sie mich gerade wie jemanden erleben, der Sie – so wie damals – im Stich lässt…“ So kann ein Gefühl, das lange im Verborgenen lag, in Sprache kommen. Und das ist oft der Anfang innerer Freiheit.
Ich erlebe es als große Ehre, diesen Raum zu halten. Denn wenn die Vergangenheit sich zeigen darf, ohne sofort bewertet oder weggeschoben zu werden, dann kann etwas Neues entstehen: Verständnis, Heilung, Beziehung. In meinem kommenden Seminar „Die Sprache der Seele verstehen – Übertragungsdeutung in der psychoanalytischen Praxis“ lade ich genau dazu ein: Gemeinsam hinzuhören, feinfühlig zu deuten, die Kunst der Beziehung zu vertiefen. Denn jede Begegnung ist auch eine Wiederbegegnung. Und darin liegt ihr Zauber.

Die Übertragungsdeutung ist in der analytischen Arbeit mit dem Patienten/ Klienten eines der anspruchvollen, wenn nicht das bedeutende Arbeitsmittel eines analytisch arbeitenden Therapeuten. Erfahrene Psychoanalytiker können rückblickend nur bestätigen, wenn Sie an ihre ersten analytischen Frequenzen mit dem Patienten denken.

Die Übertragungsdeutung fordert und erfordert während der analytischen Frequenz hohe Konzentration und tiefes Verständnis für tiefenpsychologische Prozesse von Seiten des Analytiker und dem analytischen Therapeuten.

🌿 Seminarkonzept: „Die Sprache der Seele verstehen – Übertragungsdeutung in der psychoanalytischen Praxis“ – Termine – Hier und Seminar auf Anfrage: Informationen gern eine Email!

🧭 1. Zielgruppe Psychotherapeut:innen i.A. (TP, AP) Berater:innen, Supervisor:innen, klinische Psycholog:innen *Fachleute in psychosozialen Berufen mit Vorerfahrung

"Klassische Psychoanalyse"

In der klassischen Psychoanalyse nimmt die Übertragung eine zentrale Stellung ein – sie ist nicht bloß ein Phänomen, sondern das eigentliche Arbeitsmaterial der analytischen Beziehung. Der Begriff bezeichnet die unbewusste Verlagerung früher Beziehungserfahrungen und innerer Konflikte auf die Figur des Therapeuten. Was sich zeigt, ist nicht primär die gegenwärtige Person des Analytikers, sondern das Echo vergangener Bindungen, insbesondere aus der Kindheit.

„Die Vergangenheit klopft nicht an – sie sitzt schon lange mit im Raum. Doch manchmal, wenn wir sie hören, darf sie endlich ruhen.“

"Neues Aufleben alter Gefühle"

Freud nannte die Übertragung einst ein „neues Aufleben alter Gefühle“, die nun in der therapeutischen Beziehung wie auf einer Bühne erneut inszeniert werden. Der Patient begegnet dem Therapeuten also nicht als unbeschriebenem Blatt, sondern durch die Linse früherer Beziehungsmuster – oft mit derselben Hoffnung, Angst, Wut oder Enttäuschung, die er einst Eltern, Geschwistern oder anderen wichtigen Bezugspersonen entgegenbrachte.

Die Deutung der Übertragung: Spiegel und Schlüssel zugleich

Die Übertragungsdeutung besteht darin, diese unbewussten Wiederholungen bewusst zu machen. Der Analytiker erkennt, dass das aktuelle emotionale Erleben des Patienten nicht primär auf ihn selbst als reale Person bezogen ist, sondern Ausdruck eines inneren, oft konflikthaften Beziehungsschemas darstellt. Er bringt dieses in Worte – vorsichtig, verstehend, klärend. Eine gute Übertragungsdeutung verbindet: Beobachtung (Was zeigt sich in der Beziehung zum Analytiker?), Verständnis des Vergangenen (Welche frühen Beziehungserfahrungen könnten hier wiederkehren?), Timing und Einfühlung (Wann ist der richtige Moment, um das Unsagbare in Worte zu kleiden?). So entsteht der magische Moment, in dem der Patient erkennen kann: „Das, was ich hier empfinde, ist alt – und es darf jetzt neu verstanden und verwandelt werden.“

Ziel der Übertragungsdeutung

Die Übertragungsdeutung öffnet die Tür zu strukturellem Wandel: Nicht nur das Verstehen alter Muster ist ihr Ziel, sondern deren schrittweise Integration. Das Ich des Patienten wird befähigt, zwischen vergangener Prägung und gegenwärtiger Realität zu unterscheiden. Was einst wie ein Schicksal wirkte, wird als wiederholbares Muster erkannt – und dadurch veränderbar. Man könnte sagen: Die Übertragungsdeutung ist der Schlüssel zur Vergangenheit, der ins Schloss der Gegenwart passt.

Ausführliche Ergänzung zur Übertragungsdeutung in der Psychoanalyse

Folgend eine Zusammenfassung, da ich in diesen Tagen ein Seminar zum Thema “Übertragungsdeutung” vorbereite. Selbstverständlich freue ich mich wie immer von Seiten tiefenpsychologisch tätigen Psychotherapeuten, über ein Feeback, über Ratschläge oder Anregungen, um das Thema fachlich tiefgründig präsentieren zu können.

Hier folgt eine ausführliche Ergänzung zur Übertragungsdeutung in der Psychoanalyse, gegliedert nach verschiedenen psychoanalytischen Schulen und mit Beispielen. Die Vielfalt der Zugänge zeigt, wie reich das Konzept über die Jahrzehnte geworden ist – Ein echtes Herzstück analytischen Verstehens.

1. Klassische Psychoanalyse nach Freud

Grundidee:
Sigmund Freud erkannte die Übertragung zunächst als „Störung“ im Therapieprozess, begriff sie dann aber als wichtigstes Werkzeug zur Bearbeitung unbewusster Konflikte. In der klassischen Analyse ist das Ziel, durch wiederholte Übertragungsdeutungen die unbewussten Wünsche, Ängste und Abwehrmechanismen ins Bewusstsein zu rufen.

Beispiel:
Ein Patient erlebt den Analytiker als „kritisch und ungeduldig“ – obwohl dieser ruhig und empathisch agiert. Freud würde dies als Projektion eines inneren Über-Ichs oder als Wiederholung einer kritischen Vaterfigur deuten. Die Deutung könnte lauten:

„Mir scheint, dass Sie mich als jemand erleben, der Sie schnell verurteilt – wie damals Ihr Vater, wenn Sie Fehler machten. Vielleicht ist das ein vertrautes Gefühl, das sich jetzt zwischen uns zeigt.“

Ziel:
Bewusstmachung der Wiederholungsdynamik, um deren Einfluss auf das gegenwärtige Erleben zu verringern.

2. Ich-Psychologie (Anna Freud, Hartmann, Kris u.a.)

Die Ich-Psychologie betont die Ich-Funktionen und die Rolle realistischer Wahrnehmung. Übertragung wird als Mischung aus realer Beziehung und regressiven Elementen betrachtet. Es wird stärker differenziert zwischen:

  • Realitätsbezogenen Aspekten (wie der Analytiker tatsächlich agiert) und
  • Übertragungsaspekten (wie der Patient ihn erlebt).

Beispiel:
Eine Patientin sagt: „Ich weiß, Sie sind nicht wirklich enttäuscht von mir – aber ich fühle mich so, als hätte ich Sie enttäuscht.“
Hier würde die Deutung auch die gesunden Ich-Anteile einbeziehen:

„Sie können unterscheiden, was real ist und was aus alten Mustern stammt – und genau das ist eine Stärke, auf die wir bauen können.“

Ziel:
Bewusstmachung der Wiederholungsdynamik, um deren Einfluss auf das gegenwärtige Erleben zu verringern.

3. Objektbeziehungstheorie (Klein, Fairbairn, Winnicott)

Fokus:
Im Zentrum stehen frühe Beziehungserfahrungen mit inneren Objekten – also internalisierten Vorstellungen von wichtigen Bezugspersonen. Übertragungen sind oft fragmentiert, unbewusst gespalten (idealisiert vs. abgewertet).

Melanie Klein:
Betonte die Bedeutung frühkindlicher Konflikte (z. B. Neid, Schuld, Aggression) in der Übertragung. Übertragung kann sehr intensiv und archaisch sein.

Winnicott:
Brachte das Konzept des “holding environment” ein – ein Raum, in dem Übertragungen gehalten und ausgehalten werden können. Nicht alles muss sofort gedeutet werden – manchmal ist präsente Fürsorglichkeit die tiefste Intervention.

Beispiel:
Ein Patient erlebt den Therapeuten plötzlich als gefährlich oder „verschlingend“. Die Deutung könnte lauten:

„Es ist, als wäre ich in Ihren Augen plötzlich jemand, der Sie bedroht – vielleicht wie eine frühere Bezugsperson, die Ihre Grenzen nicht geachtet hat.“

Ziel:
Integration früher Objektbilder, Förderung von Kohärenz und innerer Sicherheit.

4. Selbstpsychologie (Heinz Kohut)

Neuer Blick:
Kohut betonte die Selbstentwicklung und die Bedeutung empathischer Spiegelung. Übertragungen werden als Selbstobjektübertragungen verstanden – der Patient sucht nach einer Resonanz, die früher fehlte (z. B. idealisierender, spiegelnder, bestätigender Übertragungstyp).

Beispiel:
Ein Patient benötigt das Gefühl, dass der Therapeut „großartig“ ist, um sich selbst stabil zu erleben. Eine direkte Deutung könnte das fragile Selbst destabilisieren.

Stattdessen würde Kohut eher empathisch sagen: „Es ist wichtig für Sie, dass ich stark bin – damit Sie sich sicher und getragen fühlen.“

Ziel:
Allmähliche Internalisierung stabilisierender Funktionen; Förderung von Selbstkohärenz und Selbstwert.

5. Moderne Relationale Ansätze

Fokus:
Die Beziehung wird wechselseitig verstanden – auch der Analytiker bringt unbewusste Muster ein (Gegenübertragung als Ressource!). Übertragung ist nicht nur Einbahnstraße, sondern intersubjektiv: Zwei subjektive Welten begegnen sich.

Deutungsstruktur:
Weniger „von oben herab“, mehr dialogisch. Der Analytiker kann sich auch empathisch als Mensch zeigen, ohne das Setting zu verlieren.

Beispiel:
Ein Patient sagt: „Ich hab das Gefühl, Sie langweilen sich mit mir.“ – Statt einer klassischen Deutung könnte eine moderne Antwort lauten:

„Das ist ein wichtiges Gefühl. Vielleicht spüren Sie hier etwas, das Sie auch anderswo schon erlebt haben. Können wir gemeinsam herausfinden, woher es kommt – und ob es auch zwischen uns entstanden ist?“

Ziel:
Wechselseitiges Verstehen, gemeinsames meaning making, Entwicklung von Beziehungskompetenz.

Zusammenfassung und poetische Klammer

Die Übertragungsdeutung ist wie das Lauschen auf eine alte Melodie, die im neuen Gewand erscheint. Der Analytiker ist nicht nur Forscher, sondern auch Musiker – er horcht, wann die Töne der Vergangenheit wieder anklingen, erkennt die alten Motive und hilft dem Patienten, eine neue Komposition daraus zu gestalten.

In jeder Deutung schwingt Respekt mit: Für die Tiefe des seelischen Erlebens, für die alten Verletzungen, für die Kraft des Unbewussten – und für das Vertrauen, das ein Mensch schenkt, wenn er sich auf diese gemeinsame Entdeckungsreise einlässt.

Übertragungsdeutung