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ToggleAbgrenzung und Abstand als Schutz
In einer Welt, die nie schläft, in der Mitteilungen blinken, Erwartungen rascheln und Nähe manchmal zum Zuviel wird, braucht es eine oft unterschätzte Kunst: die Kunst der Abgrenzung.
Abgrenzung ist kein Rückzug aus dem Leben – Abgrenzung ist ein Schutzraum für das Eigene.
Viele von uns – Fühlende, Hörende – kennen das Phänomen: Die Seele wird leiser, wenn wir zu viel Nähe zulassen, wo eigentlich Abstand heilsam wäre. Es beginnt subtil: ein Unwohlsein in Gesprächen, ein flüchtiger Wunsch, das Handy einfach auszuschalten, das Gefühl, für andere mehr da zu sein als für sich selbst.
Psychologische Perspektive: Nähe braucht Grenzen
Ein reifes ICH
Psychologisch gesehen ist Abgrenzung ein elementarer Bestandteil der Ich-Funktion. Ein reifes Ich erkennt, wo es endet – und wo der andere beginnt. Diese Grenze ist nicht hart oder kalt, sondern lebendig, durchlässig, bewusst gesetzt. Sie ist das seelische Pendant zur Haut: eine Membran, die schützt, filtert und in Beziehung bleibt – ohne sich aufzulösen.
Gerade in unterstützenden, beratenden und therapeutischen Berufen oder in Beziehungen mit hoher emotionaler Dichte besteht die Gefahr der emotionalen Überflutung – ein Zustand, in dem Empathie zur Selbstaufgabe wird. Abgrenzung wirkt hier wie ein seelischer Regenschirm im Gewitter der Erwartungen.

Abstand: Der Raum, in dem Klarheit wächst
Abstand ist kein Mangel an Beziehung. Im Gegenteil: Abstand schafft Perspektive. Ein gewählter innerer oder äußerer Abstand – sei es durch Rückzug, eine Pause, eine klare Grenze – gibt Raum zum Atmen, zum Fühlen, zum Denken. In der Tiefenpsychologie spricht man von der „Neutralen Haltung“ – eine professionelle Form des inneren Abstandnehmens, um überhaupt resonanzfähig zu bleiben. Nähe ohne Abstand wird zur Verschmelzung, und Verschmelzung zur Belastung.
Abgrenzung in der Liebe – Nähe ohne Selbstverlust
In der Liebe wird es besonders heikel. Denn Liebe – so lehrt uns die Poesie – will verschmelzen, ganz sein, sich hingeben. Doch wahre Nähe entsteht nicht durch das Verschwinden des Ichs, sondern durch die Begegnung zweier klar umrissener Seelen.
Liebe braucht Freiheit. Und Freiheit braucht Grenzen.
In der psychodynamischen Sicht ist ein zentrales Merkmal reifer Liebe die Fähigkeit zur Ambivalenztoleranz: Ich kann dich lieben und zugleich bei mir bleiben. Ich kann dich fühlen, ohne mich zu verlieren. Ich kann für dich da sein – Ohne mich aufzugeben.
Abgrenzung in der Liebe heißt nicht, weniger zu lieben. Es heißt, echter zu lieben. Ohne Rollenspiel. Ohne Bedürftigkeit. Ohne das stille Geschäft „Ich geb mich auf, damit du bleibst.“
Viele Menschen – besonders jene mit frühen Beziehungserfahrungen von Unsicherheit oder Verlassenheit – geraten in ein inneres Dilemma: „Wenn ich mich abgrenze, verlierst du mich.“
Die Angst, nicht mehr geliebt zu werden, wenn man Nein sagt oder sich zurückzieht, ist tief verwurzelt. Doch paradoxerweise wird gerade durch das Fehlen von Abgrenzung die Beziehung porös. Man erwartet vom anderen, das eigene emotionale Gleichgewicht zu halten – und wird abhängig, statt verbunden.
Wenn ich meine Grenzen zeige – ruhig, klar, liebevoll –, lade ich den anderen ein, mich wirklich zu sehen. Ich mache mich greifbar, nicht verfügbar. Ich sage: „Das bin ich. Bis hierhin, nicht weiter. Nicht gegen dich, sondern für mich.“
Und wer dich liebt, wird nicht von der Grenze erschrecken – sondern von der Klarheit angezogen sein.
“In der zarten Balance zwischen Nähe und Abstand liegt die Kunst, nicht nur zusammen zu bleiben – sondern sich immer wieder neu zu begegnen.”
Körperliche Signale ernst nehmen
Praktische Impulse für den Alltag
- Grenzen benennen: Sag klar, was du brauchst – und was du nicht leisten kannst.
- Zeit für dich einplanen: Nicht als Belohnung, sondern als Grundbedingung.
- Emotionales Detox: Nicht jede Geschichte muss deine werden.
- Sprich über deine Bedürfnisse, nicht nur über deine Ängste.
- Sag „Ich brauche Raum“ – nicht „Du bist zu viel“.
- Erkenne emotionale Co-Abhängigkeit – und wähle bewusst Nähe mit Distanz.
- Bewusst atmen und spüren: Was ist deins, was gehört dem anderen?
Conclusio:
Abgrenzung ist Selbstachtung

Sie möchten sich Unterstützung holen
Wenn Sie selbst davon Betroffen sind oder jemanden begleiten, der darunter leidet, sich schwer abgrenzen zu können und bei sich zu bleiben stehe ich Ihnen gern zur Seite. In einem geschützten und vertrauensvollen Rahmen können wir gemeinsam verstehen und aktiv werden.
Ich biete psychologische Beratung und Einzelstunden für Menschen an, die sich wieder mit ihrer eigenen Stärke verbinden möchten – fundiert, empathisch und individuell auf Ihre Situation abgestimmt.
Nehmen Sie gern Kontakt mit mir auf, wenn Sie einen Termin vereinbaren möchten oder noch Fragen haben. Der erste Schritt beginnt oft mit einem Gespräch. Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen.
Abgrenzung und Abstand
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