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Einer der ersten Versuche, eine wissenschaftliche Lehre des Geistes und der individuellen Eigenschaften zu entwickeln, wird heutzutage weithin als Pseudo-Wissenschaft abgetan: Phrenologie, “Die Lehre des Geistes”, die auf einen ähnlichen Wortstamm wie Psychologie zurückgeht. Phrenologie ist die Kunst und Wissenschaft, durch die Analyse der äußeren Schädelstruktur geistige Eigenschaften zu messen und auszuwerten.

Die zentrale These lautet, dass “das Gehirn das Organ des Geistes” sei. Sie geht auf die Arbeit des Wiener Arztes Joseph Gall (1758-1828) zurück, der Experte für Schädelanatomie war. Inspiriert von einer Anekdote, die eine Verbindung zwischen hervortretenden Augen und dem Erinnerungsvermögen herstellte, nahm er weitere Verbindungen zwischen geistigen Fähigkeiten und der Physiognomie – Insbesondere der Schädelform – an. Dies führte zu einer Theorie der Organologie bzw. der Physiologie des Gehirns. Zu den revolutionären Aspekten dieser Theorie gehört die Annahme, dass das Gehirn der Sitz des Geistes ist und geistige Eigenschaften wie die Persönlichkeit von der Hirnstruktur bestimmt werden.

Bis hierhin stimmt die Phrenologie eins zu eins mit der modernen Psychologie überein, welche sie prägt und mitbegründet hat.

1. Wie moderne Psychologie geht Phrenologie davon aus, dass geistige Funktionen im Gehirn zu verorten sind, d.h. verschiedene Hirnareale werden unterschiedlichen Fähigkeiten zugeordnet.
2. Phrenologie unterscheidet sich jedoch von der Psychologie in der Annahme, dass die Größe und Entwicklung dieser verschiedenen Hirnorgane die Schädelform direkt beeinflussen, sodass ein Spezialist durch das Messen der Schädelform die verschiedenen Hirnorgane bestimmen kann.
3. Anders formuliert: Durch das abtasten der Schädelform soll es möglich sein, die Persönlichkeit und geistigen Fähigkeiten einer Person “abzulesen”.
4. Phrenologen haben eine Liste mit allen möglichen Fähigkeiten oder Eigenschaften erstellt, die man angeblich vom Schädel ablesen kann – vom “Erhöhten Fortpflanzungstrieb” bis zu “liebevollen Verhalten gegenüber Nachkommen bis zu “religiöser Gesinnung”.
5. Einst wurde sogar behauptet, dass solch Eigenschaften durch verschiedene Übungen kultiviert oder gezügelt werden können – ein interessanter Ansatz auch für bis heute andauerende Debatten über die Frage, ob die Natur des Menschen durch Erziehung nachhaltig geändert werden kann.

Auch wenn die Denkfehler, denen die Phrenologie unterlag, irgendwann offensichlich wurden, hat sie viel dazu beigetragen, sowohl die Lehre des Geistes und des Gehirns als auch die Kategorisierung und Messung von Persönlichkeitseigenschaften als legitimen Wissenschaftszweig zu etablieren.

Phrenologie