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Ein bedeutender geschichtlicher Zweig der Persönlichkeitspsychologie entstand aus der psychodynamischen Bewegung, die unter Freud begann und u.a. Alfred Adler (1870-1937) und Jung weiterentwickelt wurde.

Ursprünglich hatte Sigmund Freud topografische Konzepte der Psyche entwickelt und den geistigen Raum in ebenen wie das Unbewusste, das Vorbewusste und das Bewusste unterteilt. Im Jahre 1920 stellte er sein einflussreiches “Strukturmodell” der menschlichen Persönlichkeit dar, das nach Freud aus drei Instanzen besteht: dem ICH, dem ÜBER-ICH und dem ES.

Monster des ES

Freud beschrieb das ES als den Teil des Geistes, der angeborene “animalische” Instinkte wie den Sexualtrieb oder die Libido umfasst. Letztere sah er als primäre Quellen psychischer Energie, die die Persönlichkeit formen. Das ES strebt nach Lust durch sofortige Befriedung an und erlebt Schmerz, wenn dieses Bedürfnis unbefriedigt bleibt. Die äußere Welt lässt es vollkommen außer Acht. Ein Neugeborenes ist ein reines ES, doch aufgrund von Konflikten mit der äußeren Welt entwickelt das heranwachsende Kind das ICH – Die Exekutive, die versucht, die Ansprüche des ES durch Verhandlungen mit der echten Welt umzusetzen.

Das ICH ist rational, aber vollkommen praktisch. Die Moral und die Ethik der Familie und breiten Gesellschaft sorgen für die Ausbildung des ÜBER-ICHs, welches das ICH und das ES überwacht und Gedanken und Verhaltensweisen durch Schuld oder Stolz unterdrückt oder belohnt. Freud definierte eine erwachsenen Persönlichkeit wie einen Eisbegr: Das ICH und das ÜBER-ICH befinden sich an der Oberfläche des Bewusstseins, doch der überwiegende Teil des ES liegt weiter unten im Unbewussten versteckt.

Alfred Adler und Carl Gustav Jung

Freud hatte eine Reihe von Schülern, die Anwärter auf die Führungsposition der von ihm gegründeten Bewegung waren – der “Psychoanalyse” oder “Psychodynamik” (Die Dynamiken der Psyche betreffend” -, nur um sich schließlich dramatisch mit ihm zu überwerfen, weil sie von seinem Dogma abwichen. Der österreichische Arzt Alfred Adler lehnte mit der Zeit Freuds Beharren auf Sex als primärer Antriebskraft der menschlichen Persönlichkeit ab und glaubte stattdessen, dass Macht und Machtbeziehungen die Antriebskräfte der Persönlichkeit sind. Daraus entwickelte er Konzepte wie Geschwisterrivalität, die Bedeutung der Geburtsreihenfolge für die Persönlichkeitsentfaltung und den Minderwertigkeitskomplex. Alfred Adler argumentierte, dass die Entwicklung der Persönlichkeit von den Versuchen eines Kindes gelenkt werde, Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren oder zu vermeiden. Bei Erwachsenen, die im Umgang mit Minderwertigkeitsgefühlen gescheitert sind, entsteht ein fehlangepasstes System aus unbewussten Wünschen, Gedanken und Gefühlen, das die Funktionsweise des Bewusstseins verzerrt: ein “Komplex”, wie Psychoanalytiker sagen würden.

Auch Carl Gustav Jung war ein Schüler, der sich schlimm mit seinem Mentor überwarf und Freuds Fokussierung auf Sex zurückwies. Für ihn war die Libido lediglich eine generelle Quelle psychischer Energie und die Persönlichkeit mehr als nur eine Gefangene der Vergangenheit. Jung glaubte, dass das ultimative Streben der Psyche in der “Individuation” besteht, einem Prozess der Selbstannahme und der erfolgreichen Integration der Persönlichkeitsanteile in ein harmonisches Ganzes. In Bezug auf die menschliche Persönlichkeit betonte er die Rolle von unbewussten Kräften oder Phänomenen, die er “Archetypen” nannte und die seiner Überzeugung nach zu einem kollektiven, gemeinschaftlichen Unbewussten gehören, das über das persönliche Unbewusste eines Individuums hinausgeht. Mithilfe dieser Archetypen, die eventuell im menschlichen Gehirn angelegt sind, werden Gedanken, Gefühle und Wünsche angeregt und organisiert. Die Archetypen umfassen Persönlichkeitsmerkmale wie die Persona (Rollen oder Masken, die Menschen als Reaktion auf verschiedene Situationen oder Zeichen einnehmen.), den Schatten (Die dunkle Antithese zur Persona) sowie Animus und Anima, die in der Psyche jeder Person enthalten sind).

Persönlichkeitstheorien

Einer der ersten Versuche, eine wissenschaftliche Lehre des Geistes und der individuellen Eigenschaften zu entwickeln, wird heutzutage weithin als Pseudo-Wissenschaft abgetan: Phrenologie, “Die Lehre des Geistes”, die auf einen ähnlichen Wortstamm wie Psychologie zurückgeht. Phrenologie ist die Kunst und Wissenschaft, durch die Analyse der äußeren Schädelstruktur geistige Eigenschaften zu messen und auszuwerten.

Die zentrale These lautet, dass “das Gehirn das Organ des Geistes” sei. Sie geht auf die Arbeit des Wiener Arztes Joseph Gall (1758-1828) zurück, der Experte für Schädelanatomie war. Inspiriert von einer Anekdote, die eine Verbindung zwischen hervortretenden Augen und dem Erinnerungsvermögen herstellte, nahm er weitere Verbindungen zwischen geistigen Fähigkeiten und der Physiognomie – Insbesondere der Schädelform – an. Dies führte zu einer Theorie der Organologie bzw. der Physiologie des Gehirns. Zu den revolutionären Aspekten dieser Theorie gehört die Annahme, dass das Gehirn der Sitz des Geistes ist und geistige Eigenschaften wie die Persönlichkeit von der Hirnstruktur bestimmt werden.

Bis hierhin stimmt die Phrenologie eins zu eins mit der modernen Psychologie überein, welche sie prägt und mitbegründet hat.

1. Wie moderne Psychologie geht Phrenologie davon aus, dass geistige Funktionen im Gehirn zu verorten sind, d.h. verschiedene Hirnareale werden unterschiedlichen Fähigkeiten zugeordnet.
2. Phrenologie unterscheidet sich jedoch von der Psychologie in der Annahme, dass die Größe und Entwicklung dieser verschiedenen Hirnorgane die Schädelform direkt beeinflussen, sodass ein Spezialist durch das Messen der Schädelform die verschiedenen Hirnorgane bestimmen kann.
3. Anders formuliert: Durch das abtasten der Schädelform soll es möglich sein, die Persönlichkeit und geistigen Fähigkeiten einer Person “abzulesen”.
4. Phrenologen haben eine Liste mit allen möglichen Fähigkeiten oder Eigenschaften erstellt, die man angeblich vom Schädel ablesen kann – vom “Erhöhten Fortpflanzungstrieb” bis zu “liebevollen Verhalten gegenüber Nachkommen bis zu “religiöser Gesinnung”.
5. Einst wurde sogar behauptet, dass solch Eigenschaften durch verschiedene Übungen kultiviert oder gezügelt werden können – ein interessanter Ansatz auch für bis heute andauerende Debatten über die Frage, ob die Natur des Menschen durch Erziehung nachhaltig geändert werden kann.

Auch wenn die Denkfehler, denen die Phrenologie unterlag, irgendwann offensichlich wurden, hat sie viel dazu beigetragen, sowohl die Lehre des Geistes und des Gehirns als auch die Kategorisierung und Messung von Persönlichkeitseigenschaften als legitimen Wissenschaftszweig zu etablieren.

Phrenologie