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Lesedauer 6 Minuten

Manchmal sitzt mir in der Sitzung nicht nur mein Patient gegenüber – Meist ein Vater, eine Mutter, ein früher Lehrer, ein Bekannter von einem Freund, eine Bekannte von einer Freundin, eine einst geliebte oder verletzte Bezugsperson. Die Stimme verändert sich, der Blick, der Tonfall. Es entsteht eine Atmosphäre, die nicht aus dem Hier und Jetzt stammt – und genau hier beginnt der Moment der Übertragung.

In meiner Arbeit als Psychologin und Therapeutin ist die Übertragungsdeutung eines der kraftvollsten Werkzeuge überhaupt. Sie ist wie ein feines Stethoskop, mit dem ich nicht den Herzschlag, sondern die seelischen Wiederholungsmuster höre. Wenn Patient:innen mich zum Beispiel als „kühl“, „kritisch“ oder „überfürsorglich“ erleben – obwohl ich es gerade nicht bin –, dann lausche ich tiefer: Welche alte Beziehung meldet sich da gerade? Und wie können wir gemeinsam begreifen, was früher war und heute wiederkehrt?

Die Einladung

Eine gelungene Übertragungsdeutung ist nie belehrend. Sie ist ein Angebot, eine Einladung zum Innehalten:
„Ich frage mich, ob Sie mich gerade wie jemanden erleben, der Sie – so wie damals – im Stich lässt…“ So kann ein Gefühl, das lange im Verborgenen lag, in Sprache kommen. Und das ist oft der Anfang innerer Freiheit.
Ich erlebe es als große Ehre, diesen Raum zu halten. Denn wenn die Vergangenheit sich zeigen darf, ohne sofort bewertet oder weggeschoben zu werden, dann kann etwas Neues entstehen: Verständnis, Heilung, Beziehung. In meinem kommenden Seminar „Die Sprache der Seele verstehen – Übertragungsdeutung in der psychoanalytischen Praxis“ lade ich genau dazu ein: Gemeinsam hinzuhören, feinfühlig zu deuten, die Kunst der Beziehung zu vertiefen. Denn jede Begegnung ist auch eine Wiederbegegnung. Und darin liegt ihr Zauber.

Die Übertragungsdeutung ist in der analytischen Arbeit mit dem Patienten/ Klienten eines der anspruchvollen, wenn nicht das bedeutende Arbeitsmittel eines analytisch arbeitenden Therapeuten. Erfahrene Psychoanalytiker können rückblickend nur bestätigen, wenn Sie an ihre ersten analytischen Frequenzen mit dem Patienten denken.

Die Übertragungsdeutung fordert und erfordert während der analytischen Frequenz hohe Konzentration und tiefes Verständnis für tiefenpsychologische Prozesse von Seiten des Analytiker und dem analytischen Therapeuten.

🌿 Seminarkonzept: „Die Sprache der Seele verstehen – Übertragungsdeutung in der psychoanalytischen Praxis“ – Termine – Hier und Seminar auf Anfrage: Informationen gern eine Email!

🧭 1. Zielgruppe Psychotherapeut:innen i.A. (TP, AP) Berater:innen, Supervisor:innen, klinische Psycholog:innen *Fachleute in psychosozialen Berufen mit Vorerfahrung

"Klassische Psychoanalyse"

In der klassischen Psychoanalyse nimmt die Übertragung eine zentrale Stellung ein – sie ist nicht bloß ein Phänomen, sondern das eigentliche Arbeitsmaterial der analytischen Beziehung. Der Begriff bezeichnet die unbewusste Verlagerung früher Beziehungserfahrungen und innerer Konflikte auf die Figur des Therapeuten. Was sich zeigt, ist nicht primär die gegenwärtige Person des Analytikers, sondern das Echo vergangener Bindungen, insbesondere aus der Kindheit.

„Die Vergangenheit klopft nicht an – sie sitzt schon lange mit im Raum. Doch manchmal, wenn wir sie hören, darf sie endlich ruhen.“

"Neues Aufleben alter Gefühle"

Freud nannte die Übertragung einst ein „neues Aufleben alter Gefühle“, die nun in der therapeutischen Beziehung wie auf einer Bühne erneut inszeniert werden. Der Patient begegnet dem Therapeuten also nicht als unbeschriebenem Blatt, sondern durch die Linse früherer Beziehungsmuster – oft mit derselben Hoffnung, Angst, Wut oder Enttäuschung, die er einst Eltern, Geschwistern oder anderen wichtigen Bezugspersonen entgegenbrachte.

Die Deutung der Übertragung: Spiegel und Schlüssel zugleich

Die Übertragungsdeutung besteht darin, diese unbewussten Wiederholungen bewusst zu machen. Der Analytiker erkennt, dass das aktuelle emotionale Erleben des Patienten nicht primär auf ihn selbst als reale Person bezogen ist, sondern Ausdruck eines inneren, oft konflikthaften Beziehungsschemas darstellt. Er bringt dieses in Worte – vorsichtig, verstehend, klärend. Eine gute Übertragungsdeutung verbindet: Beobachtung (Was zeigt sich in der Beziehung zum Analytiker?), Verständnis des Vergangenen (Welche frühen Beziehungserfahrungen könnten hier wiederkehren?), Timing und Einfühlung (Wann ist der richtige Moment, um das Unsagbare in Worte zu kleiden?). So entsteht der magische Moment, in dem der Patient erkennen kann: „Das, was ich hier empfinde, ist alt – und es darf jetzt neu verstanden und verwandelt werden.“

Ziel der Übertragungsdeutung

Die Übertragungsdeutung öffnet die Tür zu strukturellem Wandel: Nicht nur das Verstehen alter Muster ist ihr Ziel, sondern deren schrittweise Integration. Das Ich des Patienten wird befähigt, zwischen vergangener Prägung und gegenwärtiger Realität zu unterscheiden. Was einst wie ein Schicksal wirkte, wird als wiederholbares Muster erkannt – und dadurch veränderbar. Man könnte sagen: Die Übertragungsdeutung ist der Schlüssel zur Vergangenheit, der ins Schloss der Gegenwart passt.

Ausführliche Ergänzung zur Übertragungsdeutung in der Psychoanalyse

Folgend eine Zusammenfassung, da ich in diesen Tagen ein Seminar zum Thema “Übertragungsdeutung” vorbereite. Selbstverständlich freue ich mich wie immer von Seiten tiefenpsychologisch tätigen Psychotherapeuten, über ein Feeback, über Ratschläge oder Anregungen, um das Thema fachlich tiefgründig präsentieren zu können.

Hier folgt eine ausführliche Ergänzung zur Übertragungsdeutung in der Psychoanalyse, gegliedert nach verschiedenen psychoanalytischen Schulen und mit Beispielen. Die Vielfalt der Zugänge zeigt, wie reich das Konzept über die Jahrzehnte geworden ist – Ein echtes Herzstück analytischen Verstehens.

1. Klassische Psychoanalyse nach Freud

Grundidee:
Sigmund Freud erkannte die Übertragung zunächst als „Störung“ im Therapieprozess, begriff sie dann aber als wichtigstes Werkzeug zur Bearbeitung unbewusster Konflikte. In der klassischen Analyse ist das Ziel, durch wiederholte Übertragungsdeutungen die unbewussten Wünsche, Ängste und Abwehrmechanismen ins Bewusstsein zu rufen.

Beispiel:
Ein Patient erlebt den Analytiker als „kritisch und ungeduldig“ – obwohl dieser ruhig und empathisch agiert. Freud würde dies als Projektion eines inneren Über-Ichs oder als Wiederholung einer kritischen Vaterfigur deuten. Die Deutung könnte lauten:

„Mir scheint, dass Sie mich als jemand erleben, der Sie schnell verurteilt – wie damals Ihr Vater, wenn Sie Fehler machten. Vielleicht ist das ein vertrautes Gefühl, das sich jetzt zwischen uns zeigt.“

Ziel:
Bewusstmachung der Wiederholungsdynamik, um deren Einfluss auf das gegenwärtige Erleben zu verringern.

2. Ich-Psychologie (Anna Freud, Hartmann, Kris u.a.)

Die Ich-Psychologie betont die Ich-Funktionen und die Rolle realistischer Wahrnehmung. Übertragung wird als Mischung aus realer Beziehung und regressiven Elementen betrachtet. Es wird stärker differenziert zwischen:

  • Realitätsbezogenen Aspekten (wie der Analytiker tatsächlich agiert) und
  • Übertragungsaspekten (wie der Patient ihn erlebt).

Beispiel:
Eine Patientin sagt: „Ich weiß, Sie sind nicht wirklich enttäuscht von mir – aber ich fühle mich so, als hätte ich Sie enttäuscht.“
Hier würde die Deutung auch die gesunden Ich-Anteile einbeziehen:

„Sie können unterscheiden, was real ist und was aus alten Mustern stammt – und genau das ist eine Stärke, auf die wir bauen können.“

Ziel:
Bewusstmachung der Wiederholungsdynamik, um deren Einfluss auf das gegenwärtige Erleben zu verringern.

3. Objektbeziehungstheorie (Klein, Fairbairn, Winnicott)

Fokus:
Im Zentrum stehen frühe Beziehungserfahrungen mit inneren Objekten – also internalisierten Vorstellungen von wichtigen Bezugspersonen. Übertragungen sind oft fragmentiert, unbewusst gespalten (idealisiert vs. abgewertet).

Melanie Klein:
Betonte die Bedeutung frühkindlicher Konflikte (z. B. Neid, Schuld, Aggression) in der Übertragung. Übertragung kann sehr intensiv und archaisch sein.

Winnicott:
Brachte das Konzept des “holding environment” ein – ein Raum, in dem Übertragungen gehalten und ausgehalten werden können. Nicht alles muss sofort gedeutet werden – manchmal ist präsente Fürsorglichkeit die tiefste Intervention.

Beispiel:
Ein Patient erlebt den Therapeuten plötzlich als gefährlich oder „verschlingend“. Die Deutung könnte lauten:

„Es ist, als wäre ich in Ihren Augen plötzlich jemand, der Sie bedroht – vielleicht wie eine frühere Bezugsperson, die Ihre Grenzen nicht geachtet hat.“

Ziel:
Integration früher Objektbilder, Förderung von Kohärenz und innerer Sicherheit.

4. Selbstpsychologie (Heinz Kohut)

Neuer Blick:
Kohut betonte die Selbstentwicklung und die Bedeutung empathischer Spiegelung. Übertragungen werden als Selbstobjektübertragungen verstanden – der Patient sucht nach einer Resonanz, die früher fehlte (z. B. idealisierender, spiegelnder, bestätigender Übertragungstyp).

Beispiel:
Ein Patient benötigt das Gefühl, dass der Therapeut „großartig“ ist, um sich selbst stabil zu erleben. Eine direkte Deutung könnte das fragile Selbst destabilisieren.

Stattdessen würde Kohut eher empathisch sagen: „Es ist wichtig für Sie, dass ich stark bin – damit Sie sich sicher und getragen fühlen.“

Ziel:
Allmähliche Internalisierung stabilisierender Funktionen; Förderung von Selbstkohärenz und Selbstwert.

5. Moderne Relationale Ansätze

Fokus:
Die Beziehung wird wechselseitig verstanden – auch der Analytiker bringt unbewusste Muster ein (Gegenübertragung als Ressource!). Übertragung ist nicht nur Einbahnstraße, sondern intersubjektiv: Zwei subjektive Welten begegnen sich.

Deutungsstruktur:
Weniger „von oben herab“, mehr dialogisch. Der Analytiker kann sich auch empathisch als Mensch zeigen, ohne das Setting zu verlieren.

Beispiel:
Ein Patient sagt: „Ich hab das Gefühl, Sie langweilen sich mit mir.“ – Statt einer klassischen Deutung könnte eine moderne Antwort lauten:

„Das ist ein wichtiges Gefühl. Vielleicht spüren Sie hier etwas, das Sie auch anderswo schon erlebt haben. Können wir gemeinsam herausfinden, woher es kommt – und ob es auch zwischen uns entstanden ist?“

Ziel:
Wechselseitiges Verstehen, gemeinsames meaning making, Entwicklung von Beziehungskompetenz.

Zusammenfassung und poetische Klammer

Die Übertragungsdeutung ist wie das Lauschen auf eine alte Melodie, die im neuen Gewand erscheint. Der Analytiker ist nicht nur Forscher, sondern auch Musiker – er horcht, wann die Töne der Vergangenheit wieder anklingen, erkennt die alten Motive und hilft dem Patienten, eine neue Komposition daraus zu gestalten.

In jeder Deutung schwingt Respekt mit: Für die Tiefe des seelischen Erlebens, für die alten Verletzungen, für die Kraft des Unbewussten – und für das Vertrauen, das ein Mensch schenkt, wenn er sich auf diese gemeinsame Entdeckungsreise einlässt.

Übertragungsdeutung

Solveig Cornelia
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Solveig Cornelia ist Psychologin, Supervisorin und Gründerin von Citrusthinking. In Ihrem Online Blog bei Citrusthinking schreibt Solveig über alles was Sie - Antreibt - Auf Entdeckungsreisen bewegt und über HerzensMenschen und ihre Lebenswege.

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